Functional Training ist kein Zirkustraining

Obwohl die Prinzipien des funktionellen Trainings schon seit vielen Jahren in der Rehabilitation und im Leistungssport eingesetzt werden, erhalten sie erst seit wenigen Jahren immer mehr Einzug in die Fitnessszene.

Leider werden die Inhalte von vielen Menschen entweder belächelt oder falsch verstanden.

Grundsätzlich sollte man zuerst versuchen, wieder beweglicher zu werden und sich überhaupt besser bewegen zu können.

Dazu gehört u. a. das Wiederlangen eines guten Körpergefühls und eine verbesserte Koordination. Letzteres bezeichnet die Fähigkeit, dass Muskelfasern innerhalb eines Muskels sowie verschiedene Muskeln untereinander besser während einer gezielten Bewegung zusammenarbeiten können.

Der Grund dafür, dass führende Vertreter des „Functional Trainings“ (z. B. Gray Cook, Paul Chek oder Mike Boyle)  zunächst viel Wert auf vermeintlich simple Übungen legen, die auf den ersten Blick wenig mit klassischem Krafttraining zu tun haben, liegt darin, dass die meisten Menschen durch den heutigen bewegungsarmen Lebensstil unglaublich schlechte körperliche Voraussetzungen für das eigentliche Haupttraining aufweisen.

Ein direkter Einstieg in das eigentliche Haupttraining würde in der Regel mit einem größeren Überlastungs- und Verletzungsrisiko einhergehen.

Wer sich jedoch die Athleten anschaut, die diese Anfangsstufen durchlaufen haben, der sieht, dass das eigentliche Ziel nicht irgendwelche Koordinationsübungen mit leichten Gewichten sind, sondern je nach Zielsetzung durchaus schwere Grundübungen mit hohen Wiederständen sein können.

Funktionelles Training bedeutet also nicht, dass viel auf Wackelbrettern oder großen Gymnastikbällen trainiert wird, sondern eher, dass der Körper überhaupt wieder auf gesundem Weg trainierbar gemacht wird.

Functional Training hat nichts mit Zirkustricks und leichten Gewichten zu tun. (Bild aus femaleathletesfirst.com)

Tsatsouline schreibt dazu, dass die Functional Training Bewegung mit einem großen Ziel begann: Unsere von der Natur gegebenen, grundlegenden Bewegungsmuster wie Kniebeugen, Krabbeln usw. wieder herzustellen, die durch unseren Alltag sowie durch die Bodybuilding- und Maschinentrainingbewegung verlorengegangen sind.

Schauen Sie sich Kinder an: die machen sämtliche Bewegungen fast automatisch richtig oder erlernen den besten Weg sehr schnell. Wenn kleine Kinder am Arm oder an Reckstangen hin- und herschaukeln, haben sie instinktiv die Schulterblätter hinten unten am Rumpf fixiert. Heben sie schwere Gegenstände auf, ziehen sie weit das Gesäß nach hinten unten, spannen den Rumpf an und drücken sich aus den Beinen hoch.

Erwachsene heben eher aus dem Rücken und wissen meist nicht mehr, wie man die Schultern stabilisiert. Auch einfaches Krabbeln auf Händen und Füßen kann kaum noch jemand richtig, wie mir die Praxis immer wieder bestätigt. Entweder gibt es Probleme bei der Koordination der Bewegung selbst oder bei der Rumpfstabilisation. Oder nehmen wir die Übungen Frontstütz, Kreuzheben, Swing, Überkopfdrücken als Beispiel. Nur wenige können über mehrere Sekunden Dauer gleichzeitig die Knie strecken und Bauch und Po anspannen. Mindestens ein Bereich bleibt häufig schlaff.

Wer also nicht einmal über eine grundlegende Bewegungsfähigkeit, Beweglichkeit und Stabilität verfügt, sollte sich lieber noch nicht an weiterführende Trainingsformen heranwagen, solange die absoluten Basics noch nicht sitzen.

Dies betrifft die meisten Menschen. Unser Alltag ist diesbezüglich grausam – wenn wir nicht bewusst gegensteuern und uns unsere natürlichen und angeborenen Fähigkeiten zurückerobern.

Wenn es um eine verbesserte Leistungsfähigkeit geht oder darum eine zumindest ansatzweise ähnliche Fitness wie unsere Vorfahren zu bekommen, dann führt kaum ein Weg an hohen Wiederständen oder Körperspannungen vorbei.

Daher ist es auch schade, dass die effektiven Trainingsmethoden aus der glorreichen Zeit des dopingfreien Kraftsports (vor den 1960er Jahren) heutzutage häufig verpöhnt sind, weil man sich dadurch angeblich verletzen kann.

Stimmen jedoch die körperlichen Voraussetzungen im Sinne einer adäquaten Beweglichkeit, Stabilität und allgemeinen Bewegungsfähigkeit, dann bringen die klassischen Grundübungen mit weniger Zeitaufwand als herkömmliche Übungen bessere Trainingseffekte.

Wie viele Menschen sieht man denn z. B. in den Fitnessstudios, die die hocheffektiven Klassiker wie Kniebeugen, Kreuzheben, Dips, Klimmzüge oder Überkopfdrücken durchführen (geschweige denn mit guter Technik)? Stattdessen werden z. B. eher kleine Muskelgruppen wie die der Schultern mit allen möglichen Varianten des Kurzhantelhebens belastet.

Anstatt schwitzige Hände mit Magnesia zu präparieren, sind in den meisten Fitnessstudios nur Handschuhe erlaubt, die das Griffgefühl eher einschränken als zu verbessern.

Schaut man sich jedoch führende Vertreter der Functional Training-Bewegung an, dann wird schnell klar, auf was dieses Training den Menschen eigentlich vorbereiten kann. Gray Cook hat sehr viel Kraft und Ausdauer und liebt es, schwere Hanteln zu stemmen. Juan Carlos Santana schafft fast 400 lbs beim Bankdrücken. Paul Check hebt nicht nur riesige Gewichte beim Kreuzheben, sondern kann auch einarmige Klimmzüge auf jeder Seite durchführen.

Martin Rooney, der u. a. auch im Dezember in München tolle Vorträge und Workshops gehalten hat, begegnet dem oft übertriebenen oder falsch verstandenen „Functional Training-Wahn“ mit Zirkusübungen und leichten Gewichten mit folgendem lustigen Video:

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Fazit: Bei all den ganzen Zirkusübungen darf nicht vergessen werden, dass es eigentlich kein Problem sein sollte, z. B. das 1,5- bis 2-fache des eigenen Körpergewichts vom Boden anheben oder mehrere Klimmzüge durchführen zu können.

Ein schönes Ziel ist es auch, das eigene Körpergewicht über den Kopf drücken zu können, wie es Martin Rooney im Video erwähnt – ja so degeneriert sind wir bereits durch unseren Alltag geworden.

Ein anderes Beispiel ist die Übung Turkish Get-up, die nicht selten von hartgesottenen Kraftsportlern belächelt wird, weil da in der Regel so wenig Gewicht bewegt wird.

Das liegt daran, dass die meisten Menschen zunächst die Voraussetzungen für höhere Gewichte erfüllen müssen. Wer einmal mindestens die Hälfte oder zwei Drittel seines eigenen Körpergewichts mittels türkischem Aufstehen technisch sauber bewältigt hat, der weiß, welch grandiose Kraft- und Stabilitätsübung das für den ganzen Körper ist (und kann dann über die Lächler lächeln).

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