Der Körper lässt alle Funktionen und Organe verkümmern, die nicht regelmäßig gebraucht werden.
So ist es auch mit der nervlichen Verbindung vom Gehirn zu den Muskeln. Unser passiver und sitzender Alltag hat bei zunehmend mehr Menschen zur Folge, dass die Koordination und das Körpergefühl dramatisch nachlassen.
Manch einer wird nun vielleicht denken, dass ich hier übertreibe und einige der Aussagen unvorstellbar oder gar lustig finden, aber ich erlebe es regelmäßig in der Praxis.
Hier einige Beispiele:
– Wenn ich in der Reha meinen Patienten gesagt habe, sie sollen die Schulterblätter zusammenkneifen, wurden diese nicht selten hoch zu den Ohren gezogen.
– Wenn ich sagte, dass die Bauchmuskeln angespannt oder die Pobacken zusammengekniffen werden sollen, wurde ich schon mehrfach gefragt, wie das geht (Erinnern Sie sich an die „gluteale Amnesie“ aus meinem letzten Artikel?).
– Wenn ich sage, dass die Knie bei den Kniebeugen weiter nach außen gedrückt werden sollen, drehen viele Menschen die Füße nach außen (die Knie befinden sich jedoch eine Etage höher…).
– Bei klassischen Stabilisationsübungen des ganzen Körpers (z. B. Front- oder Seitstütz) haben viele Menschen Probleme, gleichzeitig die Oberschenkel, den Bauch und den Po anzuspannen. Mindestens ein Teil erschlafft häufig, sobald sie sich auf einen anderen konzentrieren. Eine wirkliche Ganzkörperspannung im Sinne des aus der Gymnastik bekannten Körperzusammenschlusses können immer weniger Menschen umsetzen.
– Bei Kniebeugen schieben viele die Knie weit nach vorne und innen und wundern sich, dass sie nicht so tief runter kommen.
– Saubere, stabile Liegestütze kann kaum noch jemand durchführen, weil die erforderliche Stabilisation in der Lenden- und Brustwirbelsäule sowie im Schultergürtel gar nicht erreicht wird.
– Die einfache Übung „Katzenbuckel/Pferderücken“ im Vierfüßerstand können erstaunlich viele Menschen nicht korrekt durchführen. Dabei macht man bei gestreckten Armen einfach nur einen Rundrücken und ein Hohlkreuz im Wechsel – doch selbst das ist für viele ohne Anleitung leider schon unmöglich.
– Viele haben kein Körpergefühl mehr für die Beckenkippung – eine grundlegende Funktion für die aktive Steuerung der Wirbelsäulenstellung und der Beibehaltung einer stabilen, neutralen Lendenwirbelposition, die wir bei sämtlichen Bewegungen benötigen.
– Kreuzheben: ja im Mai gab es bereits einige Artikel dazu, aber dieses simple grundlegende Bewegungsmuster, das uns wirklich jedes Kleinkind mühelos vorführen kann, scheint für den Durchschnittsmenschen derartig schwierig geworden zu sein, dass man es kaum glauben kann.
Dabei ist es im Prinzip doch ganz einfach: Die Knie zeigen immer zu den Fußspitzen und der Po zieht bei geradem Rücken nach hinten. Dann werden die Beine durch die Fersen hindurch gestreckt und unter Bauch-/Rumpfspannung der zusammengekniffene Po gleichzeitig wieder nach vorne geschoben, als ob man damit eine Nuss knacken möchte – das ist alles.
Doch genau diese Bewegung können immer weniger Menschen, weil der Körper die neuronale Verschaltung dafür anscheinend schon lahmgelegt hat – schrecklich.
Daher ist es auch wenig verwunderlich, dass so viele Menschen Rücken- und andere orthopädische Probleme haben. Hier hilft es wenig, sich in ein Trainingsgerät zu setzen und diverse Muskeln isoliert zu trainieren, wenn der Körper nicht einmal mehr die grundlegensten Bewegungen im Alltag durchführen kann – geschweige denn im Sport.
Deshalb hier noch mal ein kleines Video zum Testen und Verbessern der grundlegenden Bewegung Kreuzheben (Lastheben):
Ich könnte die Liste noch ewig weiterführen, denn die Menschheit kann und sollte zunehmend weniger daran denken, mit Golf, Laufen, sonstigen Sportarten oder gar dem Training im Fitnessstudio zu beginnen.
Sie verlernt immer mehr, sich überhaupt bewegen zu können. Das klingt entsetzlich und katastrophal und genau das ist es auch, aber so sieht nun einmal die Realität aus. Fragen Sie ruhig auch andere Trainer. Die können Ihnen das bestätigen.
Das (Wieder-) Erlernen grundlegender Bewegungsfähigkeit wäre der erste Schritt. Danach können wir andere Sport- oder Belastungsarten hinzufügen.
Im Sitzen hingegen sind wir spitze, denn der Körper passt sich an viele Dinge an. Ich bin überzeugt, dass kein Mensch aus einem noch ursprünglich lebenden Naturvolk es schafft, 7-8 Stunden am Tag am Schreibtisch sitzen zu können.
Aus diesem Grund sind z. B. meine Kettlebellseminare vor allem dazu da, um grundlegende Bewegungsmuster wieder zu erlernen.
Jeder Teilnehmer kann sich nach einem solchen Seminar besser und effizienter bewegen, denn die Bereiche Bewegungsfähigkeit, Beweglichkeit und Stabilisation des ganzen Körpers werden dort von Grund auf gezeigt. Die Möglichkeiten der enormen Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit durch die Kettlebell stellen dabei eigentlich nur das i-Tüpfelchen dar.
Das sofort spürbar verbesserte Körpergefühl und die verbesserte Biomechanik bei grundlegenden Bewegungsmustern sind meiner Meinung nach der Hauptgrund dafür, dass praktisch alle, die sich einmal genauer mit Kettlebells beschäftigt haben, direkt von diesem positiven „Virus“ infiziert werden, wie z. B. die Rückmeldungen von Seminarteilnehmern zeigen.
Besonders Rückenpatienten staunen regelmäßig, dass sie ihren Rücken während eines vierstündigen Kettlebellseminars nicht einmal merken. Der Grund dafür liegt in der richtigen Bewegungsausführung und der guten Stabilisation der Lendenwirbelsäule bei sämtlichen Bewegungen, die mit Kettlebells durchgeführt werden.
In meiner Ausbildung zum zertifizierten Kettlebell-Instructor lernen die Trainer dann neben vielen weiteren Inhalten alle Tricks, um anderen zukünftig einfach und schnell beibringen zu können, wie man sich wieder besser bewegen kann.
Die Bewegungsfähigkeit lässt sich z. B. gut mit einem erfahrenen Trainer, durch Joint Mobility-Übungen, in einem Seminar oder zur Not auch per DVD erlernen.
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