Wie viele andere Wissenschaften auch, ändert sich aufgrund neuerer Erkenntnisse aus den Bereichen Praxis und Forschung vieles. Gerade im Gesundheitsbereich dauert es oft 15 bis 30 Jahre, bis aktuelle Erkenntnisse auch in großen Teilen der Bevölkerung ankommen.
Auch die Fitnessbranche ist nicht von Irrtümern befreit und leider dauert es auch hier viele Jahre, bis die Erkenntnisse in Traineraus- und Fortbildungen gelehrt und somit langsam an die Trainierenden weitergegeben werden. Wer sich nicht intensiv fortbildet, muss zwangsläufig mit seinem Wissen hinterherhinken. Die Frage ist nur, wie viele Jahre möchten Sie hinterherhinken?
Von Laien kann natürlich nicht erwartet werden, sich intensiv mit diesem Bereich zu befassen, doch für Trainer bildet dies die Grundlage der beruflichen Existenz. Je mehr man über sein Thema weiß, desto mehr Menschen kann man helfen und desto schnellere/bessere Ergebnisse werden möglich. Sie können ja mal Ihrem Fitnesstrainer vorsichtig auf den Zahn fühlen. Entweder ist er/sie informiert oder er/sie wird dankbar darüber sein wieder etwas dazu gelernt zu haben.
Eines vorweg: auch ich habe die folgenden Fehler gemacht und über Jahre weitergegeben und bin jedes Mal wieder sehr dankbar darüber, wenn ich erfahre, was ich noch alles falsch mache und verbessern kann. Schon mehrfach musste ich mein komplettes Weltbild in einigen Bereichen verwerfen, weil die tatsächliche Datenlage eine andere war. Das gehört nun mal dazu und durch Fehler lernen viele schließlich am besten.
Sie können in nahezu jedes Fitnessstudio der Welt gehen, sich dort umsehen und werden schnell feststellen, dass dort irgendetwas nicht stimmt, wenn Sie diesen Artikel weiterlesen.
Hier sind nun die 5 größten Irrtümer der Fitnessbranche in randomisierter Reihenfolge (sicher gibt es noch mehr oder auch größere, aber diese werden in den Medien und in der Ausbildung und Praxis häufig immer noch mit am häufigsten begangen):
1. Aerobes Training (moderates Ausdauertraining) zur Körperfettreduktion zu empfehlen
Eigentlich sollte es gar keiner großen Erklärung mehr bedürfen, denn seit über 15 Jahren zeigen Vergleichsuntersuchungen, dass ein intensives (Intervall-) Training im Ausdauerbereich mehr Körperfett reduziert als ein moderates Ausdauertraining nach der Dauermethode. Gemeint ist hierbei ein langsames bis mittleres Tempo über 20-90 Minuten Dauer, wobei die Bewegungsform relativ egal ist.
Pro Zeiteinheit werden hierbei zu wenig Kalorien verbraucht und der Nachbrenneffekt fällt im Anschluss – wenn überhaupt – nur sehr kurz und gering aus. Es ist also eine ineffiziente Trainingsmethode, die aufgrund der vielen einseitigen Wiederholungen zusätzlich die Überlastungsgefahr erhöht. Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass bis zu 50-90 % (!) der Einsteiger in einem Fitnessprogramm Überlastungsbeschwerden oder gar Verletzungen erleiden. Gehen wir davon aus, dass man für 1000 m laufen etwa 930 Schritte benötigt, wobei ein Mehrfaches des eigenen Körpergewichts abgefangen werden muss, dann kann man sich die Belastung in etwa vorstellen. Beim zügigen Gehen können ebenfalls relativ hohe Belastungen auftreten, die der heutige Büromensch gar nicht mehr gewohnt ist.
Und Radfahren? Sie sitzen doch ohnehin schon den ganzen Tag in gebeugter Haltung! Wenigstens in Ihrer Freizeit sollten Sie sich mal aufrichten.
Falls diese Erkenntnisse für Sie neu sind, dann finden Sie rechts im Blogarchiv noch viele Artikel, die dieses Thema vertiefen.
2. Eine kohlenhydratreiche und fettarme Ernährung zur Körperfettreduktion und zur Verbesserung der Gesundheit zu empfehlen
Ich höre hier immer wieder: „Es bedarf noch weiterer Erkenntnisse.“ oder „Es gibt vermehrt Untersuchungen, die darauf hindeuten, dass eine Reduktion von Kohlenhydraten eventuell doch positive Wirkungen für die Gesundheit und Körperfettreduktion haben könnten.“
Diese Erkenntnisse liegen seit Jahrzehnten (!) vor und es bedarf immer weiterer Studien in allen Wissenschaftsbereichen. Seit über 10 Jahren melden führende Wissenschaftler im Ernährungsbereich und u. a. auch die renommierte Havard Universität vermehrt, dass eine fetteiweißreiche Ernährung mit reichlich Gemüse und viel Obst sowohl für die Körperfettreduktion als auch für die Verbesserung der Gesundheit einer kohlenhydratreichen Ernährung mit hohem Getreideanteil auf jeden Fall vorzuziehen ist. Auch Studien an der Charité in Berlin kommen zu gleichen Ergebnissen.
Wer das nicht glauben mag oder weniger wissenschaftlich orientiert ist, kann sich auch einfach fragen, warum führende Trainer weltweit eine fetteiweißreiche Ernährung empfehlen. Doch nicht, um die Kundschaft zu vergraulen, kränker zu machen oder die Trainingsergebnisse hinauszuzögern. Fehlende oder mangelnde Ergebnisse haben immer eine abspringende Kundschaft zur Folge, was sich keiner erlauben kann.
Auch in der Ernährungstherapie gibt es unzählige Beispiele, wie sich ohne Medikamente durch eine fetteiweißreiche Ernährung mit reichlich Gemüse viele chronische „Zivilisationserkrankungen“ heilen (!) oder lindern lassen. Häufig werden bisher eingenommene Medikamente dadurch sogar überflüssig oder können wenigstens in der Dosis reduziert werden.
3. 10-20 min auf dem Laufband, Radergometer, Crosstrainer oder Stepper als „Aufwärmprogramm“ zu empfehlen
Wie kann eine monotone Geradeausbewegung (in einer Bewegungsebene/-achse) einen Menschen, der sich den ganzen Tag nicht bewegt, adäquat auf ein nachfolgendes körperliches Training vorbereiten? Gut, das Herz schlägt schneller und die Muskeln, die für diese spezielle Fortbewegung genutzt werden, bekommen einen etwas höheren Blutdurchfluss.
Doch hilft ein solches Aufwärmen, die verspannten und festen Muskelbereiche zu lockern und zu dehnen, die Gelenkbeweglichkeit zu verbessern, das Zusammenspiel von Gehirn und Muskulatur auf das Haupttraining vorzubereiten, „schlafende“ (inaktive) Muskeln „aufzuwecken“ (zu aktivieren), Einschränkungen im Ablauf grundlegender Bewegungsmuster zu verbessern/korrigieren, Verletzungen vorzubeugen und den Körper auf die Anforderungen und die spezifischen Bewegungen des nachfolgenden Trainings selbst vorzubereiten? Ein klares Nein.
Ein modernes Aufwärm- oder besser gesagt Vorbereitungstraining könnte z. B. so aussehen:
4. Crunches für das Training der Bauchmuskulatur durchzuführen
Zu diesem Thema habe ich in früheren Artikeln schon nahezu alles gesagt, was es zu sagen gibt (siehe Archiv rechts). Daher hier nur noch mal eine kurze Zusammenfassung, warum Crunches eine schlechte Empfehlung für das Training der Bauchmuskulatur sind:
-Crunches stellen genau die Bewegung und Belastung dar, mit der im Labor Bandenscheibenvorfälle verursacht werden können.
– Crunches belasten unnötig die Wirbelsäule und der Kräftigungseffekt für die Muskulatur ist geringer als z. B. bei Stabilisations-/Halteübungen, welche die Wirbelsäule außerdem kaum belasten.
– Die Hauptaufgabe der Bauchmuskeln ist nicht das Beugen des Rumpfes nach vorne, sondern die Stabilisation der Lendenwirbelsäule und somit das Vermeiden von größeren Bewegungen in diesem Bereich. Wenn Mutter Natur gerne mehr Bewegung in der Lendenwirbelsäule hätte, dann hätte sie die Lendenwirbelkörper so wie die Brust- oder Halswirbelkörper gebaut – hat sie aber nicht.
– Zur Stabilisation der Lendenwirbelsäule mit dem Ziel einer höheren sportlichen Leistungsfähigkeit oder zur Vorbeugung und Therapie von Rückenbeschwerden sind Crunches diversen Stabilisationsübungen weit unterlegen. Das hat nicht nur meine jahrelange Erfahrung in der Rehabilitation mit Rückenpatienten klar gezeigt, sondern wird auch mit den internationalen Studiendaten aus den letzten 10-15 Jahren belegt.
– Crunches bewirken KEINE Reduktion des Bauchumfangs und KEINE Reduktion des Bauchfetts.
– Wir sitzen den ganzen Tag und Crunches verschlechtern eher weiter die Haltung.
– Crunches können zu Schulter- und Nackenproblemen führen.
Fazit: Es gibt also Übungen, die die Bauchmuskeln physiologisch/funktionell trainieren, einen höheren Kräftigungseffekt bewirken, die Wirbelsäule kaum belasten, aber besser stabilisieren und somit entlasten, die Haltung verbessern und die Trainingszeit deutlich verkürzen. Warum liegen dann eigentlich immer noch alle auf dem Boden und machen unzählige Crunches?
Gute Übungsalternativen sind in den früheren Artikeln zu finden oder in einigen der Videos unter http://www.kettlebell-fitness.de/videos.
5. Der Glaube, dass das Krafttraining an Geräten eine gute Möglichkeit darstellt, um dem Bewegungsmangel zu begegnen
Trainingsmaschinen oder -geräte haben in erster Linie einen Nutzen: Sie helfen den Studiobesitzern, Geld zu sparen, weil somit mehr Menschen ohne Betreuung vor sich hintrainieren können, ohne sich dabei groß zu verletzen. Dass jedoch auch die Trainingsergebnisse dabei meist viel geringer sind als bei freien Übungen ohne Geräte wird gerne in Kauf genommen. Ich mag Fitnessstudios, weil dort die Trainingsatmosphäre eine andere ist als zu Hause. Leider kann man jedoch in den wenigsten ein anständiges Training durchführen, weil die Geräte den dafür nötigen Platz wegnehmen und die guten Kleingeräte meist fehlen. Zunehmend mehr Personen erzählen mir, dass sie aus ihrem Fitnessstudio austreten, weil sie dort von den Trainingsmöglichkeiten her so limitiert sind – paradox, oder? Aber ich kann das gut verstehen.
Ich möchte mich ungern wiederholen, aber wir sitzen und liegen den ganzen Tag. Warum sollten wir, wenn wir uns bewegen wollen, denn schon wieder sitzen? Führen Sie möglichst keine Übung sitzend durch und stehen Sie bei so vielen Übungen wie möglich! Jetzt wissen Sie, warum ich in Fitnessstudios so selten trainiere.
Durch unseren chronischen Bewegungsmangel, der sich über Jahrzehnte hinzieht, haben viele schlichtweg verlernt, sich zu bewegen. Gut, viele können noch gehen und einen Arm heben, aber was ich in der Trainingspraxis so erlebe, zeigt mir nicht selten ein erschreckendes Bild. Wir wissen ja schon gar nicht mehr, wie entsetzlich unfit wir geworden sind, weil wir nicht einmal mehr Treppen gehen, sondern bereits aus Gewohnheit die Aufzüge, Laufbänder und Rolltreppen nehmen.
Können Sie noch richtige Kniebeugen, Ausfallschritte, Klimmzüge, Hoppserlauf, schnell rückwärts oder im Seitgalopp laufen? Können Sie über einen schmalen Balken vorwärts und rückwärts balancieren, einen Purzelbaum machen, locker über oberschenkelhohe Hürden springen, einfache Hockwenden über Hüfthöhe durchführen, ein paar Meter hangeln, ein Seil hochklettern, mit den Fingern bei gestreckten Beinen auf den Boden kommen oder ohne große Anstrengung 10 korrekte Liegestütze ausführen? Können Sie Ihr Körpergewicht wiederholt vom Boden anheben? Was ist mit einem Handstand oder einem geschlagenen Rad? Wie sieht es mit einem lockeren Treppenlauf in den dritten Stock aus?
Das ändert sich garantiert wenig, wenn man im Sitzen hier und da ein paar Beuge- und Streckübungen macht, die das funktionelle Zusammenspiel des ganzen Körpers praktisch gar nicht fördern.
Kinder können das noch und für unsere Vorfahren war das vor wenigen Jahren auch noch ein Kinderspiel. Fragen Sie doch mal einen Landwirt in den Bergen, der viele Arbeiten noch per Hand durchführt. Ich durfte im Juli einen kennenlernen. Ohne es je versucht zu haben und ohne sich aufzuwärmen, ist er in normaler Alltagskleidung problemlos ein mehrere Meter hohes Seil emporgeklettert und hat anschließend einen 140 kg schweren Traktorreifen umgedreht, einfach so.
Oder etwas bildlicher dargestellt: Das hier liegt eigentlich in unserer Natur und sollte für die meisten durchzuführen sein, jedenfalls hat Mutter Natur das so gewollt.
Natürlich hat nicht jeder so eine Landschaft vor der Tür, aber das Prinzip sollte klar geworden sein. Schnappen Sie sich einfach ein paar Kinder und gehen Sie mit ihnen in den Wald oder auf einen Spielplatz. Dann machen Sie einfach alle Bewegungen nach, die die Kinder machen. Das kommt dem schon recht nahe.
Mein Neffe hatte am Wochenende Langeweile und schlechte Laune, weil er aufgrund des schlechten Wetters zu wenig Bewegung bekam. Als ich mit ihm ein paar einfache Turnübungen machen wollte, fand er es spannender, im Haus 22 mal (!) vier Treppen rauf und runter zu laufen – einfach so. Das war für mich natürlich auch in Ordnung 😉 Anschließend ging es ihm wesentlich besser 🙂
Warum erreichen denn laut neuerer Untersuchungen 95-97 % der Mitglieder in einem Fitnessstudio ihre gesetzten Ziele nicht? Ich wiederhole es noch mal: Fast keiner erreicht seine Ziele! Deshalb hören so viele auf. Könnte das eventuell mit den fünf Punkten dieses Artikels zu tun haben…?
Und noch ein paar letzte Anmerkungen zu der Annahme, dass ein Gerätetraining weniger verletzungsträchtig sei. Zunächst einmal wird durch die geführte Bewegung jede Wiederholung nahezu gleich durchgeführt, was zu Überlastungen führen kann. Dann bekam ich mehrfach (!) in der orthopädischen Rehabilitation neue Patienten, die sich bei Europas größter „Fitness“-Kette während des Trainings an den Maschinen (!) Bandscheibenvorfälle zugezogen und Rippen gebrochen hatten. Dabei wirbt diese Kette eigentlich für ein gesundheitsorientiertes Rückentraining.
In einem meiner Seminare war einen Teilnehmer, der vier Jahre lang ausschließlich Gerätetraining durchgeführt hatte. Ich habe eine gute halbe Stunde benötigt, nur um ihm die grundlegende Bewegung des Kreuzhebens beizubringen. Jedes Kleinkind, dem der Schnuller aus dem Mund fällt, nutzt diese Bewegung, um ihn wieder aufzuheben.
Fazit: Bewegen Sie sich mehr und bleiben Sie beweglich – ein Leben lang!
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